Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit Heavy Water Experiments (09.03.2013)

Heavy Water Experiments

David Melbye ist ein sehr bodenständiger und redseliger Gesprächspartner, der obendrein überaus belesen zu sein scheint, weshalb unser Interview sehr interessant ausgefallen ist.

Was hat dich dazu bewegt, eine Psych-Band aus der Taufe zu heben?

Ich gründete sie nach der Auflösung meiner alten Gruppe FUZZ BELOVED, einem Power Trio, das während der Neunziger aktiv war. Mein Gitarrist damals war ein brillanter Musiker, von dem ich viel lernte. Unser einziges Album hält auch heute noch jeglichen Vergleichen stand. Nach einer kurzen Zeit bei den gediegeneren LUDIVINE, die ebenfalls ein anständiges Album abwarfen, und dem akustisch ausgerichteten Soloprojekt ZANZIBAR wollte ich es wieder härter angehen lassen und kehrte zu meinem Achtsaiter-Bass zurück, den ich bei FUZZ BELOVED gespielt hatte. 2003 oder so suchte ich mir eine Rhythmusgruppe und einen Keyboarder, wobei ich selbst aber die Lead-Rolle übernehmen wollte, also auf acht beziehungsweise vier Saiten. Seitdem halte ich es genau so, aber der Sound der Band hat sich drastisch gewandelt.
Was meinen musikalischen Background angeht, so stamme ich aus einem musisch geprägten Haushalt: Mein Vater ist klassischer Pianist und Organist, meine Mutter war eine Zeitlang halbprofessionelle Opernsängern. Ich begann mit dem Waldhorn und spielte auch im Schulorchester. Später kam die Akustikgitarre hinzu, nachdem ich mit Led Zeppelin schon den Bass für mich entdeckt hatte. Nach dem College hielt ich ein Jahr lang Klavierunterricht durch, die ich erst jüngst wieder aufgenommen habe. Zuletzt nahm ich Gesangsstunden und betätige mich seit neustem auch in einem Gemeindechor.

Beeindruckend ... Gibt es in Los Angeles überhaupt eine Plattform für deine Musik?

Offengestanden nicht. Psychedelic erfreut sich immer mal wieder geringem Interesse, aber von einer blühenden Szene kann keine Rede sein. Bestenfalls gefällt den Leuten dann diese Sixties-Retro-Kutsche, aber ich verstehe unter dem Begriff eher die düsteren Siebziger, das groovige Zeug, Acid und Stoner Rock. Seit Jahren hadere ich damit, regelmäßig live aufzutreten und etwas für andere Underground-Bands ins Rollen zu bringen, doch am Ende lief es auf Auslandstourneen hinaus oder versandete im Nichts. Generell sind kleine Bands in der Stadt sowieso auf dem absteigenden Ast, weil es keine Möglichkeiten mehr für sie gibt. Übrig sind noch vereinzelte Ausläufer in Silverlake und Echo Park beziehungsweise Ost-Hollywood. Die meisten dieser Gruppen verarbeiten jedoch starke Pop-Einflüsse aus den achtziger Jahren, quasi zur Anbiederung mit Bezug auf die ganzen Hipster und Nerds der weißen Mittelschicht. Dies Musiker sind jeweils jünger und wurden vor allem vom New Wave geprägt. Glam ist aber mittlerweile weniger das Ding von Los Angeles; ich würde die Stimmung eher als eklektisch bezeichnen, weil sich die Combos wirklich den unterschiedlichsten Stilistiken andienen. Was ich bislang hören durfte, klingt aber leidlich inspiriert und wie abgekupfert.

Was bedeutet euer Bandname?

Er bezieht sich auf Kernexperimente während des Zweiten Weltkriegs, die auch in einer Folge von "Star Trek" Erwähnung fanden, als es um Zeitreisen und die Historie der Erde ging. Ursprünglich hießen wir Imogene, was zwar nett exotisch klang, der Band aber nicht gerecht wurde. Ich wollte einen richtig interessanten Namen finden, der herausragt und unseren Sound treffend charakterisiert. Auf einer gemeinsamen Reise mit meinem Vater in Island 2007 fiel mir dieser Ausdruck ein.

Was bedeutet dir die Liebe als vordergründiges Element all deiner Texte?

Interessant, dass du das so wahrnimmst. Ich befasse mich insbesondere in meinen älteren Stücken mit Liebe, und dies zumeist eher auf wehmütige Weise. Das mag klischeehaft anmuten, aber mittlerweile fasse ich den Begriff universeller auf und stelle ihn auch zuweilen in einen mythologischen Kontext: Frauen sind nicht von dieser Welt. Auf unseren aktuellen Album geht es vielmehr um die Nacht und ihre Herrlichkeit, allerdings abermals auf einer übergeordneten Ebene. Das Titelstück “Philosopher Queen" personifiziert die Nacht als Sprecher gegenüber einer Frau, die sich an sie richtet (“Wait for me, patience for my love, awake for me, all the time…”) Ein ähnliches Thema greift auch der letzte Song “Requiem For Sunlight” auf.

Ist der weibliche Singsang ein roter Faden, der sich durch alle Lieder zieht?

Kann man so sagen, ja. Auf diesem Album bin ich von meinem gewöhnlichen Gesangsstil abgekommen und klinge kerniger, was der Essenz von Rockmusik umso gerechter wird. Das hatte auch praktische Gründe, weil es für mich live leichter ist, aggressiv zu singen, denn früher wurde ich mitunter von den Instrumenten übertönt. Das Publikum beschwerte sich hinterher nicht selten über meinen zu lauten Bass, und ich war dieses Problem allmählich leid, weshalb ich auch eine weibliche Stimme hinzuzog. Während ich mir Gesangsmelodien für sie ausdachte, entwickelte ich mich selbst als Sänger weiter. Ich mag die finstere Ausstrahlung dieser Art von Vocals ganz ohne Worte, wozu mich alte Filmsoundtracks inspiriert haben. Diese sanfte Frauenstimme setzt einen logischen Kontrapunkt zu meiner knarrenden, den man nur lieben oder hassen kann, wie ich finde. Neutral hat sich jedenfalls bisher noch niemand darüber ausgelassen - ganz im Gegensatz zu früher, als meine Musik manche Hörer kaltließ, und das möchte ich nicht; sie soll kompromisslos und nicht auf Nummer sicher gestrickt sein.

In Anbetracht deiner Vorliebe für Psych drängt sich die Frage auf, ob Drogen, Esoterik, Okkultismus und dergleichen eine Rolle für dich spielen.

Zu College-Zeiten kultivierte ich ein Ritual zum Musikhören in meinem engen Freundeskreis. Dazu baute ich ein Zelt und richtete es mit Futons ein, aber was Drogen anbelangt, so beschränkten wir uns auf Pot und Bier. Irgendwann besorgten wir uns einen Benzin-betriebenen Stromgenerator und verlegten das Ritual in die Wildnis. Bis heute begleitet mich regelmäßig eine Schar ausgewählter Kumpels in die Wüste, um diese Tradition zu pflegen, wobei wir versuchen, die jeweils anderen mit Musik zu überraschen, die sie noch nicht kennen, aber immerzu unter Berücksichtigung des Ambiente, der nächtlichen Weite und kargen Umgebung. Die Genres umfassen Psychedelia aus den sechziger und siebziger Jahren, Funk sowie Soundtracks. Außergewöhnlich ist das eigentlich nicht, weil heutzutage eine Menge Leute solche musikalischen Treffs in der Mojawe veranstalten, doch ich maße uns einen größeren Ernst bei der Sache an. Davon abgesehen möchte ich den Vibe, der dabei entsteht, auch in meiner eigenen Musik heraufbeschwören, und zu diesem Zweck, das versichere ich, muss ich nicht high werden. Tut man dies, glaubt man mitunter, die eigenen Ideen seien besser, als sie es in Wirklichkeit sind.
Im Bereich der Esoterik gibt es einschlägige Literatur, die ich mir vereinzelt herausgepickt habe im Laufe der Zeit. Ironischerweise ist eine meiner poppigsten Kompositionen in Dur ein Stück über die Göttergestalt Hermes Trismegistos. Ein Secondhand-Buchladen in meiner Nähe führt auch Antiquitäten, die auf dem Dachboden aufbewahrt werden. Ich verliere mich häufig in der Okkult-Ecke und kaufe manchmal auch etwas, würde mich aber nicht als Eiferer bezeichnen, der aus diesen Quellen abschreibt und sozusagen aus zweiter Hand irgendwelchen mystischen Popanz predigt.

Wer sind Miranda, Corbis und Cordelia?

Wenn ich mich in “Wan Concubine” auf Miranda beziehe, so ist dies der Eismond des Uranus und eine Metapher für die Frau an sich analog zum weiblichen Gesang in dem Stück. Der Song “Corbis And Cordelia” stellt meine eigene Version eines Paar-Mythos dar, ungefähr wie Tristan und Isolde, Pelleas und Melisande oder Troilus und Cressida. “Corbis” ist der Name des Satanspriesters im Film "Nachts, wenn die Leichen schreien", Cordelia natürlich die Tochter von König Lear. Ich denke dabei nicht an diese spezifischen Charaktere, sondern verknüpfe schlichtweg Namen miteinander, die so klingen, als gehörten sie zusammen.

Ist "Course Of Empire" ein kritischer Song über Amerika oder den Niedergang der Zivilisation allgemein?

Er nimmt Bezug auf Thomas Coles fünf gleichnamige Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Damit zeichnete er den Verfall eines klassischen Großreiches nach, was tatsächlich als Mahnung an mein Land zu verstehen sein sollte, wohingegen Cole die Expansion unserer Nation in anderen seiner Werke romantisierte. Den Song kann man wirklich spezifisch wie generell in diesem Rahmen interpretieren.

Woher rührt deiner Meinung nach das neuerliche Interesse an den Sechzigern und Siebzigern, gerade im musikalischen Bereich?

Man kann es sich im Kontext der Postmoderne erklären: Wohingegen in vergangenen Jahrzehnen stets vollständige Neuschöpfung an der Tagesordnung war, gilt es heuer als akzeptabel, sich auf die Vergangenheit zu beziehen oder besser gesagt wiederzukäuen. Der Rock hat eine Kreisbewegung beschrieben und bietet nur noch wenig Spielraum für seine Macher, wahrhaft authentisch zu sein. Man wählt sich eine Dekade aus und strebt danach, in diesem Rahmen besonders glaubhaft zu wirken, ob Band oder Hörer. Ich für meinen Teil bin ein leidenschaftlicher Gegner von Revivals, die sich auf bloße Emulation der Sounds vergangener Zeiten beschränken. So funktioniert Musik nicht, und auch meine Kritiker führen nicht immer die gleichen Einflüsse an, wenngleich die Grundkoordinaten meines Stils nicht zu verleugnen sind. Trotzdem finde ich, dass ich durchaus Neuland beschreite, soweit dies wie gesagt möglich ist im Rock-Bereich.

Die Umsetzung eurer Musik wirkt hochprofessionell. Bist du nicht nur Multiinstrumentalist, sondern auch ausgewiesener Produzent, oder hattest du Schützenhilfe beim Aufnehmen?

Ich kann nicht trommeln und wie eine Frau singen, aber ansonsten habe ich alles alleine eingespielt. Ich sammle Vintage-Instrumente und habe deswegen eine breite Palette an Sounds für mein Zeug zur Verfügung. Mir bedeutet es aber mehr, zu orchestrieren und zu arrangieren, als Virtuosität zu zeigen, was insbesondere auf die Keyboards zutrifft, denn ein hauptamtlicher Organist würde viel zu viel spielen. Ich hege kein großes Interesse an der landläufigen Vorstellung von progressivem Rock.

Was läuft gegenwärtig in deinem Lager, und wie weit möchtest du mit HEAVY WATER EXPERIMENTS gehen?

Ich arbeite gemeinsam mit dem Drummer, der mich schon auf dem allerersten Album begleitete und zu meinen Wüsten-Freunden gehört, an neuen Liedern. Das Schlagzeug spielen wir irgendwann im Laufe der kommenden drei Monate dort draußen auf - in einem riesigen Silo, das unbenutzt dort steht, wie ich weiß. Shows stehen wohl auch wieder an, die mich dann unweigerlich zurück ins Ausland führen werden, und wenn die Resonanzen stimmen, würde ich gerne auch in Zentraleuropa aufschlagen. In der Zwischenzeit dürft ihr euch auf ein weiteres düsteres und schweres Album einstellen, das zum Jahresende hin erscheinen wird.

Wir sind gespannt! 

Andreas Schiffmann (Info)